Murmillo-Archiv

Samstag, 22. Dezember 2012

WINTERLIED: Teil 2

3) Nec lympha caret alveus
(Weder ist das Flußbett leer (frei) von Wasser)
Nec prata virent herbida
(noch grünen die grasreichen Wiesen);
Sol nostra fugit aureus
Confinia
(Die goldene Sonne flieht unsere
Gebiete);
Est inde dies niveus
(Daher ist der Tag schneereich),
nox frigida
(die Nacht kalt).

4) Modo frigescit, quidquid est,
(Bald erstarrt alles, was ist; was auch immer existiert)
Sed solus ego caleo
(Aber ich allein glühe);
Immo sic mihi cordi est
(Allerdings ist mir so zu Herzen/
geht es mir so zu Herzen (ans Gemüt?)/
 liegt es mir so am Herzen (?); dat. finalis)
Quod ardeo
(daß ich "brenne"; vor Sehnsucht?);
Hic ignis tamen virgo est
(Doch dieses Feuer ist eine Jungfrau),
qua langueo
(durch die ich schwermütig bin).

5.) Nutritur ignis osculo
(Genährt (gehegt) wird das Feuer durch einen Kuß)
Et leni tactu virginis
(und durch die sanfte Berühruung einer Jungfrau;
jetzt wird er endlich konkret! AdV.)
In suo lucet oculo
(Iin ihrem Auge leuchtet)
Lux luminis
(das Licht des Lichtes),
Nec est in toto saeculo
(und es gibt nicht im ganzen Jahrhundert; Zeitalter; in der ganzen Welt)
Plus luminis
(mehr "des Lichts"; mehr Licht; ge. partitivus)
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Ex Latino in linguam Germanicam convertit
Educator

WINTERLIED (ANONYMUS 1200): De ramis...

Strophe 1 un 2 (von 5)

1) De ramis cadunt folia
(Von den Zweigen fallen die Blätter),
Nam viror totus periit
Denn das ganze Grün ist verloren gegangen; erloschen;
ist vergangen);
Iam calor liquit omnia
(Schon hat die Wärme alles verlassen)
Et abiit
(und ist weggegangen);
Nam signa caeli ultima
Sol petiit
(Denn die Sonne hat die letzten (entferntesten, äußersten; untersten!) Sternbilder des Himmels erreicht; aufgesucht;
d.h. sie steht tief)

2) Iam nocet frigus teneris
(Schon schadet die Kälte den zarten (erg: vielleicht Pflanzen; hier substantivisch)
Et avis bruma laeditur
(und der Vogel wird durch die Winterkälte verletzt),
Et philomena ceteris
conqueritur
(und die Nachtigall
klagt mit den übrigen)
Quod illis ignis aetheris
Adimitur
(daß/ weil jenen das Feuer des Himmels; Aethers
weggenommen, verwehrt, entrissen wird)
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"philomena": mittellat. für "philomela=Nachtigall;
die athenische Königstochter PHILOMELE wurde in eine Nachtigall verwandelt;
conqueritur ceteris: cum ceteris queritur: TMESIS=Trennung eigentlich zusammengehöriger Wortteile
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INSTERBURG und co. (KARL DALL) dichtete in den 70-er Jahren diese unsterblichen Verse:
"Im Herbst da fall'n die Blätter,
das liegt am schlechten Wetter.
Im Sommer sind sie wieder dran,
sieh mal einer an!"
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E.
PLINIUS  VI, XX, 14f: Vix consideramus...

14) Vix consideramus (Wir hatten uns kaum (gerade) hingesetzt), et nox (da war auch schon die Nacht da; erg: aderat), non qualis inlunis aut nubila (nicht wie eine mondlose und bewölkte), sed qualis in locis clausis (sondern wie an geschlossenen Orten; in geschlossenen Räumen; Wohnungen; in einem geschlossenen Gelaß) lumine extincto (nachdem das Licht ausgelöscht worden war; wenn man das Licht ausmacht). Audires ululatus feminarum (Man hätte "die Wehklagen" (Klagerufe; das Wehklagen) der Frauen hören können; Potentialis der Vergangenheit bei unbestimmten Aussagen; nur in wenigen Wendungen; Reclam: hörte), infantum quirinatus (die Hilferufe der Kinder; das Gewimmer; Gekreische), clamores virorum (die Schreie (Rufe) der Männer): alii parentes (die einen die Eltern), alii liberos (die anderen die Kinder), alii coniuges vocibus requirebant (wieder andere suchten ihre Gatten bzw. Gattinen; Reclam: Ehepartner "mit ihren Stimmen" (durch Zurufe; indem sie riefen), vocibus noscitabant (und versuchten sie an ihren Stimmen zu erkennen; Imperfectum de conatu; Frequentativum von noscere; noscitare=bemerken, wahrnehmen; erkennen);
15) Hi suum casum, illi suorum miserabantur (Diese beklagten (bejammerten) ihr Schicksal (Unglück), jene das der Ihren); erant, qui (Es gab auch welche, die) metu mortis (aufgrund der Furcht vor dem Tod; aus Todesfurcht) mortem precarentur (um den Tod baten); multi ad deos manus tollere (viele erhoben ihre Hände zu den Göttern; Inf. hist.), plures ((noch) mehr) nusquam iam deos ullos (daß es nirgends mehr irgendwelche Götter gebe) aeternamque illam et novissimam noctem mundo (und daß jene ewige und letzte Nacht für die Welt angebrochen sei; Reclam: sei über die Welt gekommen; erg: esse) interpretabantur (ACI davon abhängig; erklärten sie; noch mehr erklärten, daß es keine Götter mehr gebe und...). Nec defuerunt (Auch die fehlten nicht; es fehlte auch nicht an denen), qui fictis mentitisque terroribus (die mit ausgedachten (erfundenen) und erlogenen Schreckensmeldungen; Schauermärchen; mentiri, mentior, mentitus=dichten, erdichten; lügen; erlügen; s. mens=Geist, Sinn; daher "ersinnen"; Deponens; mentitus: hier passivisch!) vera pericula augerent (die wahren (wirklichen) Gefahren vermehrten (vergrößerten)). Aderant (Es waren auch welche da; gab auch welche), qui (die) Miseni illud ruisse (in Misenum sei jenes eingestürzt), illud ardere (jenes brenne) falso, sed credentibus nuntiabant (fälschlich, "aber den Glaubenden" meldeten; fälschlich berichteten, wobei man ihnen glaubte; obwohl sie falsch berichteten, glaubte man ihnen).-
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Euer Ausbilder

Donnerstag, 20. Dezember 2012

DIACHRONIE 2: DIE BEIDEN LAUTVERSCHIEBUNGEN

1. LV: Vom Indogermanischen (Idg) ins Germanische (600 n.):  idg. p, t, k zu germ. f, th (thorn), chi (h)

a) Idg.*pater-got. fadar
b) Idg. *treies-got. threis (die Zahl 3)
c) Idg. *kerd-(lat.cor)-got. hairto
d) Idg. *quod-(lat.quod)-got. hwa

2. LV: Vom Germanischen ins Althochdeutsche (AHD):
2.1. germ. p, t, k zu Doppelspirans ff, zz, hh/ch, im Auslaut und nach langem Vokal oft f, z, h

a) Altsächsich (AS) skipes-AHD sciffes (des Schiffes)
AS skip-AHD scif
b) AS latan-AHD lazan
c) AS makon-AHD mahhon (machon)
AS ik-AHD ich (ih)

2.2. germ. p, t, k zur Affrikata pf, ph, tz, zz, z, kch, ch

a) AS ploh-AHD pfluog
AS skeppian-AHD skephan
AS scarp-AHD scarph
b) AS tid-AHD zit
AS sittian-AHD sitzen
AS swart-Ahd swarz
c) AS wekkian-AHD (oberdt.) wecchen
AS werk-AHD oberdt) werch

GRAMMATISCHER WECHSEL: VERNERSCHES GESETZ): häufig bei der Flexion der starken Verben vertreten

Verschiebung von idg. p, t, k nicht zu f, th (thorn), chi (=1. LV), sondern zu den entsprechenden stimmhaften Spiranten b, d, g, z schon im URGERMANISCHEN, wenn der Wortton nicht auf dem unmittelbar vorausgehenden Vokal lag. Kompliziert!

Bsp.e:

a) AI aparám-got-AHD abur (nicht afur)
b) AI pita(r)-got. fadar
c) Griech. (GR) dekás-got.-tigjus

Bsp. für Verben: d/t
got. wairthan, warth, waurthum, waurthans-AHD werdan, ward, wurtum, wortan=werden (IIIb)

Sonderfall: IDG qu:
Bsp.:
lat. aqua-WGerm. *ahwo (1. LV)-AHD aha (h zwischen Vokalen)=Fluß, Wasser
             -Germ. *agwjo (grammat. Wechsel)-AHD ouwa=von Wasser umflossenes Land, Aue
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E.





DIACHRONIE 1: BETRACHTUNG DER GESCHICHTLICHEN ENTWICKLUNG EINER SPRACHE

Während meines Germanistik-und Lateinstudiums an der Uni Mannheim /Schloß (1980-1991) war ein Kurs DIACHRONIE Pflicht, den ich bei AOR Dr. B. Haage absolvierte. Dr. Haage war ein Dozent, an den ich mich noch heute gerne erinnere, was ich leider nicht von vielen sagen kann. Ein echter Pädagog' und einer, der wahrhaft hinter der Sache stand.
Damals bekam jeder einen kleinen Stapel Fotokopien ausgeteilt, die sozusagen das Minimalwissen zum Thema "Diachronie" enthielten. Der Autor davon ist mir unbekannt, vielleicht ein fleißiger "Hiwi" (hilfswiss. Kraft, so eine Art Hilssheriff in Sachen Wissenschaft; urspr. Hilfswilliger).
Damit die Arbeit des Mannes bzw. der Frau nicht ganz umsonst war, möchte ich nun Auszüge davon wiedergeben.

Voraussetzung der diachronischen Betrachtung: der ständige Sprachwandel
FRANZ BOPP: Nachweis, daß SANSKRIT mit einer Anzahl europäischer und asiatischer Sprachen verwandt ist.

INDOGERMANISCH: 2 Gruppen
a) KENTUM-SPRACHEN: die vorderen Gaumenlaute (PALATALE) bleiben als k-Laute erhalten; Kennwort KENTUM=100
b) SATEM-Sprachen: die PALATALE werden zu Zischlauten; Kennwort SATEM=100
ad a) Griechisch, Italisch, Keltisch, Hethitisch, GERMANISCH u.a.
ad b) Indisch, Iranisch, Baltisch, Slawisch u.a.

Erklärung der Sprachverwandtschaft: umstritten: Stammbaumtheorie-Wellentheorie u.a.

GERMANISCH: eine allen Germanen gemeinsame Sprache läßt sich nicht nachweisen; daher: Erschließung durch Vergleich der vorliegenden germ. Dialekte

Unterschiede gegenüber den übrigen Sprachen:
a) Festlegung des im Indogerm. freien Wortakzentes auf die erste Silbe
b) 1. bzw. germ. Lautverschiebung (LV)
c) die indogerm. (idg.) sonantischen Liquide und Nasale (r, l, m, n; mit untergeschriebenem "o" werden germ. zu "ur, ul, um, un"
d) Idg. kurzes a/o wird zu germ. kurzem a; langes a/o zu langem o
Bsp.e:
lat. ager-Gotisch (got.) akrs
Altindisch (AI) brathar-got. brothar
lat. octo-got. ahto
lat. flos-got. bloma
Dazu: H. KRAHE: Historische Laut-und Formenlehre des Gotischen, Heidelberg 1967.

DIALEKTGRUPPEN IM GERMANISCHEN:
a) NORDGERMANISCH:
ALTNORDISCH (AN): 700-1500
b) OSTGERMANISCH:
GOTISCH (WULFILA-BIBEL, RUNEN)
Ostgermanen sind z.B. Goten, Gepiden, Vandalen, Burgunder, Heruler, Rugier, Skiren.
(enge Verwandtschaft des Nord-und Ostgerm., daher auch Einteilung in Nord-und Südgermanen)
c) WESTGERMANISCH:
c1) NORDSEEGERMANISCH (z.B. die Ingwaonen des TACITUS und PLINIUS): Friesen, Angelsachsen, Niederfranken, Sachsen
c2) WESER-RHEIN-GERMANISCH (die Istwäonen des TACITUS und die Isträonen des PLINIUS): Franken zwischen Weser und Rhein
c3) ELBGERMANISCH (die Ermionen des TACITUS und PLINIUS): Thüringer, Baiern, Alemannen, Langobarden
Wichtigstes Kennzeichen: WESTGERMANISCHE KONSONANTENVERDOPPELUNG
Bsp: sitja-Angelsächsisch (AGS): sittan
WESTGERMANISCH:
a) AGS-Altfriesisch-Altniederdeutsch (Altniederfränk. und Altsächsisch)
b) ALTHOCHDEUSCH (südlich der sog. BENRATHER-LINIE):
Mitteldt: Ost-, Rhein-, Mittelfränkisch
Oberdt: Bair., Alemann., Teile des Fränk.

ad GOTOS: aus GUTLAND (Schweden), wandern vor Christi Geburt an die Weichsel, dann ans schwarze Meer (Mitte 2. Jh.)
a) AUSTROGOTI: erobern unter THEODERICH (DIETRICH VON BERN) Italien; 555 durch Ostrom vernichtet; wichtiges Dokument: CODEX ARGENTEUS
b) VISIGOTI: diese ziehen infolge des Hunnensturmes unter ALARICH nach Italien, dann nach Südfrankreich (Tolosanisches Reich), Ausbreitung nach Spanien (5. Jh.)
c) KRIMGOTEN: 1554 werden Reste einer germ. Sprache auf der Krim (da wo's den guten Sekt gibt) entdeckt (86 Wörter)
(im 9. Jh. wird in Tomi/Dobrudscha noch got. gepredigt!)

WULFILA: etwa 311-382/3 ("Wölfchen"), Bischof der arianischen Goten, die er wegen der Christenverfolgung unter ATHANERICH (war bestimmt ein netter Mann) nach Mösien führt
um 369: BIBELÜBERSETZUNG ins GOTISCHE (außer Buch der Könige, da zu kriegerisch; da sieht man einmal wieder, wozu einen das Christentum macht; AdV.)
(Wulfila benutzte die SEPTUAGINTA, vielleicht auch die VETUS LATINA)
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Educator vester



Mittwoch, 19. Dezember 2012

Was heißt "VOM REGEN IN DIE TRAUFE KOMMEN"?
Nach einigem Suchen bin ich "casu" (rein zufällig) im Sprachkalender von Harenberg (2005) fündig geworden:
INCIDIT IN SCYLLAM QUI VULT VITARE CHARYBDIM.=Es gerät an die Skylla (stürzt in die S.), wer die Charybdis vermeiden will.
(incidere, cidi=in, auf etw. fallen; auf jem. stoßen; von "cadere")
Die SKYLLA ist ein Meerungeheuer mit 6 Hälsen und 12 Füßen, das in einer Höhle an der Meerenge von Messina (?)  wohnt. Sie ist die nette Nachbarin der CHARYBDIS, eines Meeresstrudels. Die SKYLLA hat übrigens 6 Gefährten des ODYSSEUS gefressen, einen für jeden Hals. Prost Mahlzeit!
Ich gedenke übrigens meine beiden Tanten Grete und Melitta  in SKYLLA und CHARYBDIS umzutaufen. Meines Wissens gibt es bislang noch niemanden, der diese Namen trägt. Es wird also Zeit, dies nachzuholen.
"SKYLLA und CHARYBDIS sind sprichwörtlich für zwei unvermeidlich gleich große Übel."
LEXIKON DER ANTIKE, GONDROM, Bindlach 1987, S. 525 (Art. "Skylla").
Der Ausspruch stammt von WALTER VON CHÂTILLON (um 1135-1200), Alexandreis, 5, 301.
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Ich bin 1980 über die Meerenge von Messina gefahren. SKYLLA und CHARYBDIS waren weit und breit nirgends zu sehen. Vielleicht waren sie ja gerade im Urlaub oder im Streik, was ja in Italien nicht ungewöhnlich wäre.
Paßt auf, daß ihr nicht vom Regen in die Traufe kommt, wenn ihr Latein abwählt!
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Der Educator

PLINIUS VI, XX, 12-13: VESUV BRICHT AUS!

12) Tum mater orare, hortari, iubere (Dann bat die Mutter, ermahnte mich und befahl; historische Infinitive; Asyndeton, um Dramatik zu erzeugen), quoquo modo fugerem (scil ut; daß ich auf jede (erdenkliche) Weise fliehen sollte; auf jede Weise zu fliehen); posse enim iuvenem (scil. me; denn ich könne es als junger Mann; weil ich noch jung sei; oratio obliqua; Hauptsätze in den ACI, Nebensätze und Befehlsätze in den Konjunktiv; alles unterliegt der Consecutio temporum (Zeitenfolge)), se et annis et corpore gravem (sie dagegen sowohl aufgrund der Jahre (abl. causae oder instrumentalis) als auch durch den Körper beschwert (durch die Last ihres (alten) Körpers) bene morituram (werde gut sterben; Inf. Fut. Akt.), si mihi (wenn sie mir) causa mortis non fuisset (nicht die Ursache meines Todes gewesen wäre; Betonung auf "non" im Gegensatz zu "nisi", wo sie auf der bedingenden Konjunktion liegt). Ego contra (Ich dagegen; darauf entgegnete ich; scil. dico): salvum me nisi una non futurum (ich werde nicht gerettet sein außer zusammen (mit ihr); erg. esse; entweder beide oder niemand; noble Haltung); dein manum eius amplexus (darauf ihre Hand umfassend; amplecti=umarmen; nachdem ich ihre....; dadurch daß ich....) addere gradum cogo (zwang ich sie, "ihre Schritte zu beschleunigen"; Reclam; einen Zahn zuzulegen; ich; erg. gradui, also "einen Schritt dem Schritt hinzuzufügen); s. "Der kleine Stowasser", Artikel "addere", 1.1 sowie ORBIS ROMANUS).
13) Paret aegre (Sie gehorcht ungern; widerwillig; (störrische alte Frau!)) incusatque se (und macht sich Vorwürfe; klagt sich an), quod me moretur (daß sie mich aufhalte).
Iam cinis (Schon (fiel) Asche, adhuc tamen rarus (doch noch immer selten; bis zu diesem Zeitpunkt wenig). Respicio (Ich schaue zurück; drehe mich um): densa caligo (dichter Rauch) tergis imminebat (drohte uns im Rücken; wörtl. "drohte unseren Rücken"; Dat.), quae nos (der uns) torrentis modo (nach Art eines Gießbachs) infusa terrae (sich über die Erde ergießend; Dat.; der sich...ergoß) sequebatur (folgte). "deflectamus", inquam ("Wir wollen vom Weg abbiegen"; scil. via; sagte ich), "dum videmus (solange als wir noch sehen können), ne in via strati (damit wir nicht auf dem Weg niedergeworfen; um nicht auf dem Weg, weil wir niedergestoßen wurden; sternere, sterno, stravi, stratum; vgl. Straße) comitantium turba (von der Masse unserer Begleiter; derer, die uns begleiten; mit uns fliehen) in tenebris (in der Dunkelheit; Finsternis; tenebrae, arum, fem.:plurale tantum) obteramus (zertreten werden; obterere, trivi, tritus=zertreten, zerquetschen; das verbum simplex "terere" bedeutet "auf-, zerreiben")".-
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Euer lieber und guter Educator

Dienstag, 18. Dezember 2012

PREISFRAGE: Was heißt lateinisch "auf keinen grünen Zweig kommen"?
Heißt es
-"ad nullum surculum/ramum viridem/prastinum pervenire"?
Minime! Garantiert nicht!
Man könnte narürlich sagen: Nihil perpetrare/ committere/ consequi=nichts zustande bringen/ erreichen.
In "DE LATINE LOQUENDO" bin ich teilweise fündig geworden. Im Kapitel "In Schulden" (de aere alieno) steht:
Er wird nie zu etwas kommen=nunquam rem faciet (also: "er wird niemals die Sache machen"; er bringt es nicht).
Es dürfen Vorschläge gemacht werden.
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E.

PLINIUS VI, XX, 10-11: "Schon geht's weiter!"

10) Tum vero idem ille ex Hispania amicus (Darauf aber jener selbe Freund aus Spanien) acrius et instanter ("heftiger eindringlicher"; Reclam; "drohender"; Orbis Romanus; mit Nachdruck; ich; Komparative des Adverbs) "si frater", inquit, "tuus ("Wenn Dein Bruder", sagte er; der Sprecher wendet sich an die Mutter, dann an Plinius), tuus avunculus vivit (Dein Onkel (noch) lebt; lebte; eine Art Chiasmus!), vult esse vos salvos, (dann will er, daß ihr heil (wohlbehalten) seid; dann würde er wollen, daß ihr gerettet seid), si periit (wenn er aber zugrunde gegangen ist; umgekommen ist) superstites voluit (dann wollte er, daß ihr "überlebend seid", am Leben; überlebt; ACI, scil. vos esse; dann hätte er gewollt...). Proinde quid cessatis evadere (Was zögert ihr also zu entkommen, zu entweichen)?" Respondimus non commissuros nos (Wir antworteten, daß wir es nicht dahin kommen ließen; erg. esse; "nicht fertigbringen"; Reclam) Infinitiv Futur Aktiv), ut de salute illius incerti (daß wir hinsichtlich der Rettung jenes ungewiß; "als Ungewisse";Prädikativum) nostrae consuleremus (für unsere, scil. saluti=Rettung sorgen; für unser Heil sorgen, wo wir doch im Unklaren sind, was sein Wohlergehen betrifft; seine Rettung angeht).
11) Non moratus ultra (Nicht länger verweilend; sich aufhaltend; Partizip Perfekt Aktiv des Deponens "morari"; ultra=adv. darüber hinaus) se proripit (stürzt er fort; Feigling! AdV.) effusoque cursu (effundere=ausgießen; effusus=weit ausgedehnt; "in weitausholendem Lauf" mit großen Schritten, in schnellem Lauf; abl.modi; die feige Ratte hatte sich sozusagen im Schweinsgalopp davongemacht-immer nach dem Motto: seid nicht feige, laßt mich hinter den Baum!) periculo aufertur ("wird er aus der Gefahr weggebracht", entzieht er sich der Gefahr; reflexiv; macht sich vom Acker; Ablativus separativus).
Nec multo post (Und auch nicht viel später; "um vieles später"; abl. mensurae auf die Frage: um wieviel?) illa nubes descendere in terras (legte sich jene Wolke auf die Erde; Lat.: dichterischer Plural), operire maria (und bedeckte das Meer; Asyndeton; "maria"=die Meere; descendere=herabsteigen; operire: Infinitivi historici). Cinxerat Capreas (Sie hatte (schon) die Insel Capri umschlossen; cingere=umgürten, umgeben; Capreae=Ziegeninsel vor der kampanischen Küste) et absconderat (und verborgen), Miseni quod procurrit (erg. "id": id quod...procurrit: poetische Umschreibung für "promunturium"=Vorgebirge, wörtl.: "das was von Misenum/ in Misenum hervorläuft; ausläuft; sich erstreckt, vorspringt"; gen. partitivus oder alter Lokativ; der ganze Satz ist Objektsatz zu "abstulerat"), abstulerat (aufero, abstuli, ablatus=wegtragen; hatte sie entzogen (die Wolke) erg. oculis; abl. sep.=unseren Augen; und sie hatte das Vorgebirge von Misenum unseren Augen entzogen; Blicken; Reclam).-
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"Schon geht's weiter!" (s.o.) war ein beliebter Ausspruch von Prof. H. Walter (er war einer meiner Professoren).
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E. (euer Educator)

Freitag, 14. Dezember 2012

OVID: METAMORPHOSEN: NIOBE: 6, 146-312: IHRE HYBRIS: Lydia tota...

STELLUNG IM GESAMTWERK/ KONTEXT:

4, 416-603: Mit der Verwandlung des KADMUS in eine Schlange-keine besonders angenehme Vorstellung-schließt sich der sog. "thebanische Sagenkreis".
4, 604-5, 249: Hauptdarsteller: PERSEUS. Dieser wurde übrigens von JUPITER mit DANAE gezeugt. Dabei hatte JUPITER einen fiesen Trick angewendet, indem er sich in einen Goldregen verwandelt hatte.
(Was Männer nicht alles tun, um zu ihrem billigen Triebziel zu kommen!)
Doch die Sache hatte auch was Gutes: PERSEUS rettete nämlich die ANDROMEDA vor einem Seeungeheuer (armes Tier; ob Meeresungeheuer wohl unter Naturschutz stehen?) und, da er schon dabei war, erledigte er gleich auch noch die gräßliche MEDUSA. PERSEUS, der Mann, der keine halben Sachen macht!
5, 250-Ende:
a) Besuch der PALLAS ATHENE auf dem MUSENBERG HELIKON
b) Wettstreit im Singen zwischen den MUSEN (davon gibt es 9) und den Töchtern des Königs PIERUS.
a) und b): Rahmen für die Erzählung von DEMETER=CERES und dem Raub ihrer Tochter PERSEPHONE=PROSERPINA durch PLUTO (der beruflich in der Unterwelt zu tun hat).
6, 1-400: 4 "nur lose verbundene Geschichten" (an das Vorhergehende=das Schicksal der PIERUSTÖCHTER durch "Motivgleichheit" angeschlossen)
1.) Schicksal der ARACHNE: In ihrer Vermessenheit glaubt sie, im Handwerk besser zu sein als die Göttin ATHENE. Das hätte sie besser bleiben lassen, doch wir machen ja bekanntlich alle mal einen Fehler. Das Strafmaß: Verwandlung in eine Spinne!
2.) NIOBE: Tochter des TANTALOS und Gattin des AMPHION. Diese hatte 6 Söhne und 6 Töchter (macht zusammen 12). Sie war ebenso arrogant wie ihr Alter, der damit protzte, auf der Party der Götter eingeladen zu sein. Der Apfel fällt ja bekanntlich nicht weit vom Stamm.
Ihr Vergehen: NIOBE verbot den Frauen von THEBEN, der LETO Opfer zu bringen. Grund: Diese habe nur 2 Kinder!
Die Strafe folgt auf dem Fuß: APOLLO und ARTEMIS erschießen die NIOBIDEN mit Pfeilen.
Verwandlung: NIOBE wird zu Stein (aus Trauer). Dieser steht auf dem Berg SIPYLOS in PHRYGIEN, ihrer Heimat und weint unaufhörlich (der Fels!).
AEDON: Gattin des ZETHOS=Zwillingsbruder des AMPHION. Da sie nur einen Sohn hatte, nämlich den ITYLOS, wollte sie aus Neid den ältesten Sohn der NIOBE töten. Das ging aber furchtbar daneben. Da es dunkel war, tötete sie aus Versehen den eigenen Sohn ITYLOS. AEDON wurde daraufhin von furchtbarem Schmerz zerrissen. ZEUS aber hatte Mitleid.
Verwandlung: AEDON wurde in eine Nachtigall verwandelt. Diese ruft nachts ihr klagendes "Itylos! Itylos!"
3.) Die lykischen Bauern
4.) Marsyas, der Satyr

6, 146: INCIPIT

Lydia tota fremit, Phrygiaeque per oppida facti
rumor it...
(In ganz LYDIEN hallt es wider (vom Schicksal der Arachne) und durch die Städte PHRYGIENS "geht" (läuft) das Gerücht (die Kunde) der Tat (der Arachne))
...et magnum sermonibus occupat orbem
und erfaßt durch Reden (Tratsch) den großen Erdkreis.
Ante suos NIOBE thalamos cognoverat illam,
(vor ihren "Ehebetten" ( metonymisch für Vermählung, Ehe; suos...thalamos; HYPERBATON) kannte sie jene (=ARACHNE)
tum cum MAEONIAM virgo SIPYLUMQUE colebat;
(damals als sie (=NIOBE) noch als Jungfrau (damals gab es so was noch; AdV) MAEONIEN und den SIPYLOS (Landschaft und Gebirgszug in LYDIEN) bewohnte,...in M. und am S. wohnte.)
nec tamen admonita est poena popularis Arachnes
(dennoch ist sie nicht durch die Strafe der Landsmännin ARACHNE (griech. Gen.) emahnt (belehrt) worden)
cedere caelitibus verbisque minoribus uti.
(den himmlischen Göttern zu weichen und "geringere Worte" (bescheidenere Worte; nicht so sehr die Klappe aufzureißen) zu gebrauchen.
"Doch nicht ward sie gemahnt von der Strafe der Landesgenossin,
Himmlischen nachzustehn (sic) und minder vermessen zu reden."
Schön gesagt!
Alte GOLDMANN-Übersetzung von REINHART SUCHIER, S. 115.
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P. OVIDIUS NASO: MET., Altsprachl. Texte, Klett, Stuttg. 1995, S. 37 f.
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E.




Donnerstag, 13. Dezember 2012

20.000!

Congratulations Balloon



Unser Partnerkanal Murmillo1 von Youtube hat die 20.000er-Grenze überschritten:

http://www.youtube.com/user/Murmillo1?feature=mhee

Wir gratulieren!

Mittwoch, 12. Dezember 2012

ÜBERSETZUNGEN: In eigener Sache


Das droht dem Verlag Cornelsen/Oldenbourg!

Wir mussten bedauerlicherweise - zum Leidwesen meiner armen Schüler und unserer unzähligen Lateinfans - unsere "genialen" Lehrbuch-Übersetzungen vom Blog herunternehmen, da uns der Verlag "ein Angebot gemacht hat, das wir nicht ausschlagen konnten". Sie liegen nun unter Verschluß (sozusagen als streng geheime Reichssache und sicherer als der Schatz der Nibelungen).

Im Gegensatz zum Lehrbuch, mit dem ich schon seit Jahren arbeiten muß und das der Schüler anzuschaffen hat (per scholae et magistri vim) , wurden unsere - allseits beliebten und gefälligen - Posts übrigens freiwillig (voluntate) angeklickt.
Und noch einen Tip (lat. consilium; gutgemeint und kostenlos): Wissenschaftliches Arbeiten verlangt, daß man Zitate kenntlich macht! Genau dies tat der Verlag selber nicht!

All dies ist "sad, but true", wird uns jedoch nicht an der weiteren Entfaltung unserer Genialität hindern.
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Das Team (unsere Absichten waren immer rein und lauter!)
ADDENDUM:

1.) Es muß natürlich "Feuergarben" heißen!
2.) PLINIUS war ein genauer Beobachter: Dies zeigt sich besonders in der etwas komplizierten und für unser Verständnis umständlichen Schilderung der Wolke.
3.) "Das gilt auch für die Beschreibung des Strandes, auf dem beim Zurückfluten des Meeres die Seetiere zurückbleiben, wie vor allem für die Darstellung der Panik unter der Bevölkerung: Gewirr von Stimmen, Wehklagen über das Unheil, Furcht vor dem Tode, Verbreitung von Gerüchten, Zuflucht zum Gebet, Zweifel an den Göttern-all das kennzeichnet in zutreffender und typischer Weise das Verhalten der Menschen bei Katastrophen (vgl. dazu die Panik von Vesontio; Caes. bell. Gall. I, 39, 4, Text S. 57). Dabei berührt es sympathisch, daß Plinius auf ausführlichere Schilderungen eigener Heldentaten verzichtet."
(ORBIS ROMANUS, S. 259)
(vielleicht gab es keine; AdV)
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E.
PLINIUS: VI, XX: praeterea mare...

9) Praetrea mare (Außerdem das Meer) in se resorberi (daß es "zu sich" zurückflutet; resorbere=einschlürfen!) et tremore terrae quasi repelli (und durch das Beben der Erde sozusagen zurückgestoßen wird) videbamus (sahen wir; wir sahen, daß das Meer...). Certe processerat litus (Tatsächlich war der Strand "vorgerückt"=hatte sich erweitert; war größer geworden) multaque animalia maris (und viele Tiere des Meeres ("frutti di mare") siccis arenis detinebat (hielt er auf dem trockenen Sand (Plural!) zurück; fest (arme Tiere!). Ab altero latere (Auf der anderen Seite) nubes atra et horrenda (eine dunkle und schreckliche Wolke) ignei spiritus tortis vibratisque discursibus rupta (zerrissen "in gewundenen und geschwungenen Schlangenlinien von feurigem Schein; "rupta" ist Part. coniunctum zu "nubes", "ignei spiritus" ist gen. qualitatis zu "discursibus", anders Kukula: nubes atra ignei spiritus=eine schauerliche, feuerspeiende Wolke; s. ORBIS ROMANUS, S. 258;) in longas flammarum figuras dehiscebat (löste sich in lange "Flammenfiguren" auf; Reclam: "Feuergaben"): fulguribus illae et similes et maiores erant (jene waren sowohl den Blitzen ähnlich als auch größer (als diese).-
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torquere, torsi, tortus=drehen, winden
vibrare=schwingen, schwenken; zucken
dehiscere=klaffend auftun, öffnen, spalten
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Macht Euer Testament, wenn so ein Text in der Arbeit kommt!
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E (Beschützer der Witwen und Waisen)
PLINIUS: VI, XX: das Unglück nimmt seinen Lauf: egressi tecta...

8) Egressi tecta (Als wir aus den Häusern ("Dächern"; Synekdoche=comprehensio; Mitverstehen eines angedeuteten Begriffes, Sonderform der Metonymie, hier: pars pro toto) herausgingen), consistimus (blieben wir stehen). Multa ibi miranda (Wir erlebten dort viel Seltsames; wörtl.: "dort mußten wir uns viel wundern"; erg. "nobis", dat. auctoris=tätige Person beim Gerundiv), multas formidines patimur (und wir erduldeten viele Schrecken; nach "ORBIS ROMANUS", S. 258: Zeugma, d.h. "'patimur' gehört zu zwei syntaktisch gleichgeordneten Substantiven, paßt aber nur zu 'formidines'"; man könnte allerdings auch das Gerundiv "miranda" adjektivisch auffassen; des weiteren: Asyndeton). Nam vehicula (Denn die Fahrzeuge), quae produci iusseramus (wörtl: "die wir befohlen hatten herausgefahren zu werden"; relative Verschränkung; hier: ACI im Relativsatz; die auf unseren Befehl herausgebracht wurden; die wir hinausfahren ließen), quamquam in planissimo campo (obwohl sie auf ebenstem Gelände waren; topfeben; Ellipse), in contrarias partes agebantur (wurden nach entgegengesetzten Seiten bewegt; bewegten sich...) ac ne lapidibus quidem fulta (und nicht einmal durch Steine gestützt; fulcire, fulsi, fultum; obwohl man sie durch Steine gestützt hatte; (die Steine wurden wohl unter die Räder geschoben)) in eodem vestigio quiescebant ("ruhten"; blieben sie (nicht) an derselben Stelle; an demselben Standort).
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Schwere Sachen, Latein und so!
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E (der Rächer der Enterbten)
PLINIUS SECUNDUS: LIB. VI, XX: THE FULL CATASTROPHY! Iam hora diei prima...

6) Iam hora diei prima (Schon war die erste Stunde des Tages gekommen; Ellipse, Hyperbaton), et adhuc dubius et quasi languidus dies (und; aber der Tag war immer noch dämmerig und gewissermaßen langsam heraufsteigend ("müde"). Iam quassatis circumiacentibus tectis (Nachdem schon die umliegenden Häuser ("Dächer"; Metonymie; pars pro toto) erschüttert worden waren), quamquam in aperto loco, angusto tamen (obwohl wir an einem offenen, dennoch engen Platz (Ort) waren; im Freien; Ellipse), magnus et certus ruinae metus (bestand/ war/ hatten wir große und begründete Angst (Furcht) vor Einsturz; Ellipse).

7) Tum demum (Dann endlich) excedere oppido visum (schien es uns ratsam/ ist von uns erwogen worden; aus der Stadt hinauszugehen; die Stadt zu verlassen; Reclam: "faßten wir den Entschluß": Ich konnte allerdings diese Bedeutung von "videri" im Stowasser nicht finden!); sequitur vulgus attonitum (es folgt die entsetzte/ bestürzte/ geschockte Menge; poet. Ausdruck: "vom Donner gerührt"), quodque in pavore (und was im Schrecken (Angst)) simile prudentiae (der Klugheit ähnlich ist; Ellipse), alienum consilium suo praefert ( zieht sie fremden Rat dem eigenen vor; ordne: et alienum consilium suo (consilio) praefert, quod in pavore prudentiae simile (est)) ingentique agmine (und durch einen ungeheuer großen Zug; in gewaltiger Menge) abeuntis (=abeuntes; acc. pl.) premit et impellit (drückt und stößt/ schiebt/ schob sie (scil. die Menge) die Weggehenden).
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"Der Brief VI, 20 ist wie ep. VI, 16 ein gutes Beispiel für die Erzählkunst des Plinius."
("Genauigkeit der Beobachtung und Treffsicherheit des Ausdrucks")
ORBIS ROMANUS, ERLÄUTERUNGEN, LESEBUCH A, Paderborn 1975, S. 259.
Und die müssen es ja schließlich wissen!
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E.

Freitag, 7. Dezember 2012

DIE EWIGE FRAGE: Wie wurde "c" ausgesprochen?

Dazu STEHLE; L 1, 4: "c" lautete bei den Römern stets wie k: carcer=karker, ch wie k(h): pulcher=pulk(h)er, schola=ß-k(h)ola. Seit dem 6. Jahrhundert n. Chr. wurde c wie z gesprochen vor hellen Vokalen und vor ae, oe..."
Deswegen wurden z.B. "Caesar" zu "Kaiser" und "cella" zu "Zelle".
Die Aussprache des "c" als "z" (vor "e" und "i", also hellen Vokalen), wie ich sie in der Schule gelernt habe, ist also die nachklassische bzw. frühmittelalterliche Aussprache.
Daß "c" tatsächlich wie "k" gesprochen wurde, wissen wir u.a. durch die griechische Wiedergabe der Namen "Caesar" und "Cicero", die im Griechischen mit einem Kappa geschrieben wurden, also "Kaisar" und "Kikero". Hätte das "c" wie ein "z" geklungen, so hätten es die alten Griechen mit Zeta wiedergegeben!
Deswegen der alte Philologenwitz, den ich von meinem Lateinlehrer OSTR. Behringer habe:
KÄSAR UND KIKERO GINGEN IN DIE KIRCHE. KÄSAR IM KYLINDER, KIKERO IM KIVIL.-
Ansonsten kann man festhalten: Eine einheitliche Aussprache des Lateins gab es nicht. Es gab allenfalls verschiedene Ausprägungen (je nach Zeit, Ort und sozialer Schicht). Ein batavischer Söldner am Hadrianswall (Sch...job! AdV.) sprach natürlich ein anderes Latein wie SENECA. Wahrscheinlich hätte er nur "Abfahrt und Bahnhof" verstanden, wenn man ihm aus SENECA vorgelesen hätte. Und wahrscheinlich hätte er gröhlend den Bierkrug nach ihm geworfen. (Ganz so blöd war man am Wall dann doch nicht. Es gibt meines Wissens einen "Soldatenbrief", worin es um eine Bücherbestellung geht!)
(Ganz ähnlich ein Versuch, den-wie ich glaube- HARALD SCHMIDT durchgeführt hat: Er ließ über den Bahnhofslautsprecher aus den Werken HEGELS vorlesen. In den Gesichtern der verblüfften Zuhörer waren übrigens alle Nuancen von "Blödigkeit" sichtbar. Ein anderer Versuch: SCHMIDT liest HEIDEGGER (SEIN UND ZEIT) im Männerwohnheim.)
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E.




PROVERBIA I: Der frühe Vogel fängt den Wurm.

In Anglica lingua: The early bird catches the worm.

Von diesem Sprichwort ist mir keine lateinische Übersetzung bekannt. Eine solche wäre deshalb für die Wissenschaft ein echtes Desiderat.
Was heißt Vogel?=avis, is, fem.
Wurm?=vermis, is, m.
Fangen?=capere, comprehendere, doch "comprehendere" heißt auch "ergreifen (festnehmen)" sowie "begreifen". Ich bin allerdings fast sicher, daß man einen Wurm nicht festnehmen kann (höchstens einen menschlichen) und daß ein Vogel einen Wurm versteht (was ja ein geistiger Prozeß ist), glaube ich auch nicht.
Für "fangen" empfiehlt sich hier evtl. das frequentativum bzw. intensivum "captare"=greifen, schnappen etc. (Diese Verben haben "-tare (-sare),-itare" am Verbstamm zur Bezeichnung einer wiederholten bzw. verstärkten Handlung, s. THROM, F 93. So gibt es von "dicere" das Intensivverb "dictare"=wiederholt sagen, wovon "diktieren abgeleitet ist, und das "Intensivstverb dictitare", was auch "wiederholt sagen" bedeutet, doch sollte man "dictare" vielleicht eher mit "auf jemanden einschwätzen" übersetzen und "dictitare" mit "jemandem das Ohr ablabern".)
Was heißt "früh"?-"Mane", doch dies ist ein Adverb.-"Prima luce": beim ersten Licht; adverbiale Bestimmung.
Wie wäre es mit "matutinalis" bzw. "matutinus"=morgendlich?-Zu kompliziert!
"Prior"?=früher; ist ein Komparativ, und zwar von "prae+Ablativ"=vor, und ließe sich bestenfalls mit "recht früh/ ziemlich früh" übersetzen und nur in manchen Fällen durch den Positiv, s. STEHLE, F 15 d und e, wen es interessiert.
Besser wäre vielleicht "maturus"=rechtzeitig, frühzeitig, schleunig; auch: tauglich!
Ergo ist die "solutio":
AVIS MATURA VERMEM CAPTAT.
Man könnte das "dictum" auch ein wenig "mutieren":
-Der Vogel fängt den frühen Wurm=AVIS VERMEM MATURUM CAPTAT (Wäre der Wurm in der Frühe zuhause geblieben, wäre dies nicht passiert. Morgenstund hat Blei im Mund. Und: Wer morgens vor 10 auf der Straße gesehen wird, der ist nix und wird nix.)
An dieser Stelle möchte ich das geniale Gedicht des ebenso genialen HEINZ ERHARDT empfehlen, das unter dem Titel "Die Made" bekannt ist. Das Gedicht harrt noch einer Übersetzung ins Lateinische!
-Der arme Wurm wird vom frühen Vogel gefangen=VERMIS MISER AB AVE MATURA CAPTATUR.
-Arm ist der Wurm, der vom Vogel gefangen wird=VERMIS MISER EST, QUI AB AVE CAPTATUR. (auch: "captetur": Konjunktiv Präsens wegen des kausalen Nebensinnes im Relativsatz, übersetze das Relativ mit "weil"!)
-Wird der Wurm vom Vogel gefangen, ist er arm dran (bzw. der Ofen aus)= SI VERMIS AB AVE CAPTATUR, MISER EST. (Konditionalsatz!)
-Ein vom Vogel gefangener Wurm ist arm dran=VERMIS AB AVE CAPTATUS MISER EST.
Dies ließe sich natürlich beliebig fortführen. Es dürfen Vorschläge gemacht werden.
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E. (Firma "education and drill lim.")


Mittwoch, 5. Dezember 2012

PLINIUS SECUNDUS: LIBER SEPTIMUS, EPISTULA XXVII, CAP. 8-11: Initio, quale ubique, silentium...

DER "GESPENSTERBRIEF" DES PLINIUS: Rationaler Philosoph contra armseliges Gespenst

Initio, quale ubique, silentium noctis (Am Anfang war, wie überall, die Stille (Schweigen) der Nacht), dein concuti ferrum (dann wurde Eisen zusammengeschlagen), vincula moveri (und Ketten wurden bewegt; klirrten): ille non tollere oculos (jener=Athenodorus erhob nicht seine Augen), non remittere stilum (legte den Schreibstift nicht weg), sed offirmare animum (sondern faßte Mut; "ermannte sich" (der kl. Stowasser) auribusque praetendere (die Stelle ist etwas dunkel: praetendere=vor sich hinhalten; vorspannen, vorziehen; tendere=u.a. streben, entgegenstreben, Gegenwehr leisten; d.h. also: er leistete den Ohren Widerstand; "strebte nach etwas vor den Ohren"; er zog etwas den Ohren vor; Sinn: er hörte nicht auf seine Ohren; gab nichts auf das Gehörte u.dergl.). Tum crebescere fragor (dann wurde der Lärm größer; nahm zu), adventare (näherte sich, kam näher) et iam ut in limine, iam ut intra limen audiri (und wurde bald wie auf der Türschwelle, bald wie innerhalb der Tür=im Zimmer gehört; und wurde gehört, als ob er schon auf der Schwelle und als ob er schon im Zimmer wäre). Respicit, videt, agnoscitque (Er blickt zurück; blickt sich um; schaut auf (Reclam), sieht und erkennt) narratam sibi effigiem (die ihm beschriebene Erscheinung (Gestalt)). Stabat innuebatque digito (Sie stand das und winkte mit dem Finger) similis vocanti (ähnlich einem Rufenden; als ob sie rufen wollte); hic contra (dieser dagegen), ut paulum expectaret (daß sie ein wenig warten sollte; ein wenig zu warten), manu significat (gab mit der Hand ein Zeichen) rursusque ceris et stilo incumbit (und widmet sich wieder den Wachstäfelchen und dem Schreibstift). Illa scribentis capiti catenis insonabat (Jene (Gestalt) rasselte mit den Ketten um den Kopf des Schreibenden; über dem Kopf); Respicit rursus (Er schaut sich wieder um; schaut auf) idem, quod prius, innuentem (die Stelle ist ebenfalls dunkel: er schaut wieder auf das "dasselbe (acc. sg.ntr.), was es vorher=wie vorher zuwinkende (Gespenst); also: auf das Gespenst, welches dasselbe zuwinkte, was es vorher/ zuvor zugewinkt hatte; verkürzter Vergleich: das Gespenst machte also mit dem Finger dieselben Zeichen wie zuvor; die Konstruktion wird aus der Reclamübersetzung nicht deutlich) nec moratus (und nicht verweilend; ohne zu zögern) tollit lumen et sequitur (nimmt er das Licht und folgte nach). Ibat illa lento gradu (Jene (Gestalt) ging mit langsamen Schritt daher (ist  ja nicht mehr der Jüngste; AdV.), quasi gravis vinculis (gewissermaßen durch die Ketten beschwert); postquam deflexit in aream domus (nachdem es in den Hof des Hauses abgebogen ist; besser: war), repente dilapsa deserit comitem (verließ es den/ seinen Begleiter, plötzlich sich auflösend; verschwindend; indem es plötzlich verschwand). Desertus (Der Verlassene) herbas et folia concerpta (Gräser und abgerissene Blätter) signum loco ponit (legte es als Zeichen auf die Stelle). Postero die (am nächsten Tag) adit magistratus (geht er zur Behörden), monet, ut (und mahnt, daß) illum locum effodi iubeant (sie befehlen (anordnen), daß jener Ort aufgegraben wird/ werde; jenen Ort aufzugraben). Inveniuntur ossa (Es werden Knochen gefunden) inserta catenis et implicita ("eingefügt und umwickelt" mit Ketten; dat.! mit Ketten umwickelt), quae corpus (die der Körper) aevo terraque putrefactum (durch die Zeit und die Erde morsch gemacht, verfaulend; der durch...verfault war) nuda et exesa reliquerat vinculis (nackt und zernagt/ zerfressen in den Ketten zurückgelassen hatte; dat.!); collecta publice sepeliuntur (die eingesammelten (Gebeine); nachdem man sie eingesammelt hatte,werden öffentlich/ auf Staatskosten beerdigt). Domus (das Haus) postea rite conditis (nachdem sie (später) nach Brauch bestattet worden waren) manibus caruit (blieb später/danach frei von von den Seelen der Verstorbenen; Abgestorbenen (der kl. Stowasser); abl. separativus).-
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"Da der Tote nicht förmlich beigesetzt worden war, hatte er keine Ruhe gefunden. Jetzt erst, nachdem das Begräbnis nachgeholt worden war, hörten die Geistererscheinungen in diesem Haus auf."
PLINIUS: EPISTULAE VII, Lat./ Deutsch, Reclam, Stuttg. 1994, S. 86.
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So sei es!
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E.