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Samstag, 9. März 2013

MARCUS TULLIUS CICERO: DE OFFICIIS I, 14: KOMMENTAR

AD LEAM DISCIPULAM CARAM
(Cicero et ego Leae salutem plurimam dicunt)

unum: prädikativ
quod deceat=was sich geziemt, das Schickliche, sittlich Richtige (to prepon)
in factis dictisque: proleptisch (=vorgreifend, vorwegnehmend)
(Das Wissen um Ordnung und Maß bewirkt ein Gefühl für Schönheit sowie Harmonie. Dementsprechend entwickelt sich im Menschen die Ausgeglichenheit, die wiederum "temperantia" zur Folge hat. Parallelen zur Ausgewogenheit der sog. "gemischten Verfassung"! (De re p. I, 69)
ordnende Tätigkeit des Staatsmannes: s. De re p. II, 67 ff.
Harmonie der Welt: s. De re p. VI, 17 f.
aspectus, us=Anblick
aspectu sentire: Dies vermögen auch die Tiere! Sie sind jedoch nicht in der Lage, ästhetisch zu empfinden.
eorum ipsorum...pulchritudinem: Sperrung
venustas=Anmut, Ebenmaß
convenientia partium: harmonische Fügung der Teile zum Ganzen
quam similitudinem=cuius rei similitudinem=die Ähnlichkeit dieser Sache (Gemeint sind m. E. die Begriffe, die im Satz zuvor aufgezählt werden und die sich untereinander ähneln.)
Nur der Mensch ist dazu befähigt, in Analogien zu denken.
transferre=übertragen
indecore (adv.)=unschön; Gegensatz zu "quod decet"
effeminate (adv.)=weibisch
libidinosus=leidenschaftlich
(Die Affekte führen zur Beeinträchtigung von Tun und Denken. Grund: Sie stören das rechte Maß bzw. die Harmonie.)
das "honestum": Es entwickelt sich natürlich, braucht keine Anerkennung und existiert unabhängig von der öffentlichen Meinung. Es ist um seiner selbst willen lobenswert (=Auffassung der STOA).
nobilitare=allgemein bekannt machen, zu Ansehen verhelfen
etiamsi nobilitatum non sit=auch wenn es (bei der Menge) nicht in Ansehen steht
quodque=et quod
vere dicimus...esse laudabile: ACI im Relativsatz
QUELLE: CICERO, PHILOSOPHISCHE SCHRIFTEN, B. ERLÄUTERUNGEN, Frankf. am Main 1974 (Hirschgraben-Verlag), S. 65 f.
ERGÄNZUNG:
vis=hier: Fähigkeit
natura ratioque: die durch ratio ausgezeichnete menschliche Natur
modus=rechtes Maß
aspectu sentire=durch Anschauung empfinden, erfassen
nullum aliud animal: nur der Mensch empfindet ästhetisch, nur er begreift die Welt als Kosmos
(schöne Weltordnung) sowie die Schönheit/ Harmonie des Universums (vgl. De re p. I, 43; De fin. VI, 17 f)
venustas=Anmut
convenientia (convenire)=Ebenmaß, Harmonie
quam similituinem: genauer: quarum rerum similitudinem=die ähnliche Struktur dieser Dinge; die Ähnlichkeit dieser Begriffe
ad animum transferens: Der Mensch nimmt die Ordnung der Außenwelt sinnlich wahr. Durch Analogieschluß gelangt man zur Ordnung des Geistes und der Sittlichkeit. Der Kosmos wird von der Weltvernunft durchwaltet. Aus diesem Prinzip kommen alle Normen der Sittlichkeit und des Rechts.
Der Weg von der sinnlichen Wahrnehmung zu geistiger Erkenntnis: s. PLATON, Symposion 211 c:
"Von jenem irdischen Schönen beginnend, steigt man um jenes Schönen willen immer weiter auf, wie auf Stufen, von einem zu zweien und von zweien zu allen schönen Körpern, von den schönen Körpern zu den schönen Seelen, von den schönen Seelen zu den schönen Bestrebungen und von ihnen zu den schönen Erkenntnissen, von den Erkenntnissen endlich gelangt man zu jener Erkenntnis, die keine andere ist als die von jenem Schönen an sich, auf daß man zuletzt erfahre, was das Schöne selber ist."
constantia: hier: Ebenmaß
indecore (adv.) unschicklich (quod non decet)
effeminate (adv.)=weibisch, unmännlich
libidinose (adv.)=leidenschaftlich, willkürlich (Libido als Gegensatz zur ratio; vgl. den Gegensatz apollinisch (Klarheit)-dionysisch (rauschhaft)
conflare=zusammenblasen; pass: entstehen, sich bilden
nobilitare=pass: anerkannt werden
nobilitatum non sit: Potentialis
laudabilis, e (laudare)=löblich, rühmlich
quod esse laudabile: ACI
QUELLE: ORBIS ROMANUS: ERLÄUTERUNGEN, LESEBUCH A, hrsg. v. Dr. H. Schmeken, Paderborn, 1975, S. 219.
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AD OMNES:
Wie man sieht, hat der Kommentar viel zu bieten. Er trägt unendlich viel zum tieferen Verständnis bei. In ihn sind die Erfahrungen von Generationen eingeflossen. Ganze Schülergenerationen haben mit dem Kommentar die Lektüre bestritten. Kein Autor wurde ohne Kommentar gelesen. Der Kommentar erspart viel Zeit und Arbeit und liefert oft "the right word in the right place"!
Meine verehrte Lateinlehrerin Fr. OstRn. M. Metternich (Gymnasium Gernsheim am Rhein, 1971-76) hat den Kommentar immer eifrig gebraucht und uns gezeigt, wie man damit umgeht. Einer mußte immer den Kommentar übernehmen. Sie fragte dann immer: "Was spricht der Kommentar?" (Ich glaube, sie war mit dem Kommentar verheiratet!)
Die Schulmeister und Schulmeisterlein von heute benutzen den Kommentar immer weniger. Dies ist dumm, vermessen und unverständlich. Stattdessen händigen sie ihren Zöglingen irgenwelche (horribile dictu!) "Freßzettel" aus!
Daher appeliere ich-wie immer vergeblich-an die Schüler: Seid nicht so dumm wie..., sondern besorgt euch:
a) Text
b) Übersetzung
c) Kommentar
Ihr seid doch sonst so groß im Holen!
Also: Text, Übersetzung, Kommentar (am besten 2), holen! Sonst wird das nix!
TIP: ZVAB im Internet oder "Die Wortfreunde" in Mannheim. Das sind auch meine "dealer".
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Ohne Kommentar ist das Leben kein Leben! Ein Leben ohne Kommentar, ist kein Leben!
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The SIR



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