Murmillo-Archiv

Sonntag, 2. August 2015

AUS DER REIHE "MERKWÜRDIGE ZEITGENOSSEN": JOHANN JAKOB SCHEUCHZER (1672-1733)

JOHANN JAKOB SCHEUCHZER war Stadtarzt in Zürich und eifriger Fossiliensammler. Er sammelt so viel, daß er sich irgendwann ein Raritätenkabinett aufgebaut hatte (wie alle naturkundlichen Sammlungen garantiert muffig). Als er bei Nürnberg einige Wirbel fand, war er selig und hielt sie für die Reste eines Menschen, der in der Sintflut umgekommen war (also nicht gut schwimmen konnte). Anno 1708 fabrizierte er dann ein Elaborat, das Holzschnitte über sein Horrorkabinett enthielt. Es trug den Titel "Piscium Querelae et Vindiciae" (Klagen und Rechtfertigungen der Fische). Darin verteidigt ein rhetorisch geschulter Hecht die These, daß Fossilien die Überreste wirklicher Meerestiere sind. Diese, so der Hecht, hätten vor der Sintflut gelebt und seien als Opfer fremden Wahns untergegangen.

Doch Scheuchzers Freund JOHANN JAKOB BAIER kaufte ihm die "Wirbel-Story" nicht ab:

"...jedoch gebe ich kaum zu, daß sie die Wirbel des Rückgrates eines Menschen sind...Es mögen mir also Deine Fische verzeihen, daß ich...diese Wirbel, die sie als menschlich ausgegeben haben, die sie aber genauer hätten betrachten sollen, mit Deinem Verlaub zurückschicke, damit sie dann vielleicht dahinter kommen, zu welcher Art ihres eigenen Geschlechts jene in Wahrheit gehören."

Die sog. Altendorfer Wirbel waren die Wirbel eines ICHTHYOSAURIERS, der sich lange vor der Sintflut, genaugenommen vor 150 Millionen Jahren, putzmunter in den Fluten des Urmeeres getummelt hat.

SCHEUCHZER wurde gnadenlos verlacht! Er wurde u.a. Chorherr (vielleicht deswegen) und wühlte weiter in der Erde, um zu beweisen, daß die Bibel doch recht hat. Von nun an besuchte er einen Steinbruch nach dem anderen, auch den Öhninger Steinbruch am Bodensee. Sintfluttheoretiker SCHEUCHZER glaubte seine Sternstunde zu erleben, als ihm von dort (gegen Geld, das er hinterlegt hatte) von geschäftstüchtigen Arbeitern (die sich vermutlich einen Spaß daraus machten und die im wahrsten Sinne des wortes "banausoi" waren!) eine Platte geschickt wurde. Prompt schrieb er sein nächstes Elaborat: Homo diluvii testis et theoskopos (Der Mensch durch göttliche Vorsehung Zeuge der Sintflut, 1726). Unter den Abdruck der Öhninger Platte schrieb er:

"Betrübtes Beingerüst von einem alten Sünder,

erweiche, Stein, das Herz der neuen Bosheitskinder!"

"Poeta sum", kann man da nur sagen!

SCHEUCHZER blieb stur bei seiner Irrlehre: Die Versteinerungen auf der Platte waren die Reste eines Menschen, der in der Sintflut abgesoffen war. Punkt, Ende, fertig!

1722 schreibt er einen Brief an den englischen Naturforscher H. SLOANE, worin er ihm mitteilt, daß nun durch "göttliche Vorsehung aus dem genannten Steinbruch ein weiterer Gast" zu ihm gekommen sei, der "seinen früher eingetroffenen Genossen an Größe, Alter und Bedutung übertrifft." Der Fund zeige Teile eines menschlichen Skeletts, die Statur des Skeletts entspreche der seinigen. Anscheinend nahm es Freund SCHEUCHZER nicht so genau. Das Teil war nämlich nur 1, 30 m!

SCHEUCHZER wurde nun immer verbohrter. In seinem Museum rechnete er den zahlenden Besuchern vor, daß seine "alten Sünder" "damals vor 4032 Jahren Opfer der göttlichen Gerechtigkeit geworden" seien (DOLEZOL).

Heute wissen wir: SCHEUCHZERS armes Sintflutopfer war kein Mensch, sondern ein tertiärer Riesensalamander. Also kein "armer Sünder", sondern ein (mehr oder weniger) unschuldiges Tierchen.

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Quelle: THEODOR DOLEZOL: ADAM ZEUGTE ADAM.





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